Sunday, June 12, 2022

Addenda


Annemarie Wille

meiner Mutter zum 85. Geburtstag, am 8. Dezember 2012,


von Rolf-Peter Wille



In einer alten Kaiserstadt,

die einen dicken Zwinger hat,

da stehn die Häuser etwas schief

an dem gewalt’gen Harzmassiv.

Hier knospet manche holde Rose

im Städtchen Goslar an der Gose.

Oh, welche malerische Lage

für Annies zarte Kindertage!


Zunächst einmal wird sie geboren.

Mit 3 bereits geht sie verloren:


Das ist nicht Goslar – nein, es ist Nordhausen:

Ein Kind marschiert von seines Hauses Schwelle

hinweg, folgt einer flotten Blaskapelle.

Hör’ nur dies tolle Schmettern, hör’ dies’ Brausen!


Und schau mal, wie die Annie lustig rennt.

Zu Hause hocken, ach, ihr wär’s zu dumm.

Viel kesser klingt das Tschingderassabum;

gewiss – ein musikalisches Talent!


Bang sind die Eltern nun, sind immer bänger:

Ist sie verschwunden? Ja, das wär’ noch krasser!

Verführten sie die lust’gen Rattenfänger?


Doch ist sie klug; die Annie sagt zum Glück:

Ich wohn’ in einem weißen Haus am Wasser”

und eine Dame bringt sie rasch zurück


Einst ist die Mutti mit dem Vati

auf einer abendlichen Partie.

Man sieht den neusten Film im Kino –

daheim schläft friedlich das Bambino.

Nicht gar so friedlich, denn Gespenster

die plagen sie, sie geht an’s Fenster.

Da stehet sie im Nachthemd und

alleine – nur mit ihrem Hund.

Weh!” schreit sie, “ach, die kommen nie!”

Jedoch die Nachbarn retten sie.


Dann wiederum an andren Tagen

wohnt man idyllisch zu Wolfshagen

am Bach, beim Wald, in der Natur.

Oh, lebte sie hier länger nur!


Doch bald schon soll sie Weimar sehen.

Da muss sie in die Schule gehen,

bekommt die prächt’ge Zuckertöte.

Hier wirkte Schiller einst und Goethe.


Gleich zieht man wieder fort

und stets an einen neuen Ort.

Es folgt der Reigen bunter Städte

in einem klassischen Sonette:


In Goslar steht die Pfalz vom Röm’schen Reiche.

Wolfshagen, das ist allererste Sahne:

Hier fließt die Innerste. Hier fließt die Grane.

Nur selten wächst im Harz die dicke Eiche.


Und ist Nordhausen eine Reise wert?

Wo liegt das Städtchen bloß? Oh – keine Sorge!

Nordhausen liegt noch immer an der Zorge.

Der Ritter Roland zückt sein Eisenschwert.


Willst Du Kultur, musst Du nach Weimar ziehn.

Und Bunker gibt’s in Wünsdorf bei Berlin.

Wo findest Du in Brandenburg die Elbe?


Genau durch Wittenberge fließt dieselbe.

Oh leiwes Brunswyck! Ja, Du bist die Stadt,

dei sau vel Worst un schöne Mumme hat.


Genug von jenem Reisetriebe!

Musik ist Annies wahre Liebe.


Talent fehlt nicht, sie hat’s geerbt

von ihren Ahnen, unverderbt:

Es spielt die Ziehharmonika

mit Schwung bereits der Großpapa

und stampft den Takt mit seinem Fuße.

Und auch die Mutti, hat sie Muße,

vergnüget sich – nicht ohne Tugend -

mit Schumanns Album für die Jugend.


Ihr Urgroßvater mit Plaisir

und einem Finger spielt Klavier:


Mariechen saß weinend im Garten

Im Grase lag schlummernd ihr Kind”

so spielt es der Urgroßvater

gar leise wohl auf dem Klavier,

und singet auch stets delikater

und Wellen schlägt sein Bier.


Da kann sie nun nimmermehr warten

Sie lernt es so leicht und geschwind.

Ein Lehrer ist auch gleich zur Stelle

und ist ein Bar-Pianist.

Das Annemariechen ist helle.

Ihr Vati liebt Weimar und Liszt.


Das Mädchen spielt bald immer kesser

und auch die Lehrer werden besser:

Fräuleins, Sänger, Organisten,

alte Jungfern, Pianisten.

Nun spielt sie schon den schweren Bach

bei der Frau Jung – die ist vom Fach.


Am Ende gar – wir gratulieren –

geht sie nach Detmold zum Studieren.

Professor Hansen heißt ihr Meister,

ein Künstler auch, ein viel gereister.


Beim Hansen klingt doch alles frischer.

Er selbst war einst bei Edwin Fischer.

Ich forsche weiter ohne Pause:

Der Fischer war bei einem Krause

und jener Krause, wie Ihr wisst,

war Meisterschüler von Franz Liszt.

Der Franzi ging als Kind in Wien

stets fleißig zum Carl Czerny hin.

Den aber lehrte manches Jahr

der alte Beethoven sogar.

So ist Frau Wille – immerhin –

die Ur-ur-ur-ur-enkelin.


Und dann – ich glaub’ das ist nicht wahr –

will sie noch nach New York sogar.

Der Onkel spricht: “Don’t be a fool!

Come, study here at Juilliard School!”


Doch weh; der künftige Gemahl

der stellt sie vor die bitt’re Wahl:

Gehst Du nach Juilliard, mein Schatz,

so macht Dein Wille gleich Rabatz!”


Sei still! Bald bin ich wieder da.

Ich geh’ kurz nach Amerika.”


Schon winkt vom Dampfer sie herab;

doch ach, Herr Wille macht nicht schlapp:

Gib mir die Hand, gib mir Dein Ja!

Was suchst Du in den U.S.A.?”


Am Kai steht Herbert, schlank und cool –

adieu, good bye, sweet Juilliard School.


Sie fahren in den Flitterwochen

nur mit dem Fahrrad, und sie kochen

sich selber was. Am Meeresstrand

seh’ ich sie wandeln Hand in Hand.


Zum Wohnort sich die Frischvermählten

die liebe Löwenstadt erwählten.


Man spürt’s als Kind und als Fossilie:

Der Sinn des Seins ist die Familie.

Mal scheint die Sonne. Mal gibt’s Schatten.

Oft sättigt man den braven Gatten

und sinnt, wie man die lieben Söhne

im Musikalischen verwöhne.

Die spielen brav zwar mit den Pfoten,

doch, ach, wie lernen sie die Noten?


Schwarz-weiß wirkt nicht sehr angenehm.

Drum hier ihr farbiges System:


Mit C beginnen wir. Das ist die Pflaume.

Es strahlt, es lacht die Sonne auf dem D.

Und auf der ersten Notenlinie, E,

klebt eine Birne. Ach, die fiel vom Baume.


Nun werfen wir den Ball. Auf’s F fällt der.

Und gleich darüber leuchtet eine Kirsche,

recht sauer, dass ich mit den Zähnen knirsche;

so merk’ ich mir das G. Dies ist nicht schwer.


Da auf dem A sitzt eine graue Maus,

die knabbert heimlich an dem H, der Nuss,

und wohnt in einem Schweizer-Käse-Haus.


Kommt noch ein Zeichen, das ich lernen muss,

in diesem kunterbunten Notenstrauß?

Noch einmal kommt die Pflaume, dann ist Schluss.




Wie wunderbar ist diese Pflaume.

Noch heute winkt sie mir im Traume;

und ist das Üben allzu fade,

liegt rechts ein Stückchen Schokolade.


Bald sind in der Familie Wille

drei Musikanten niemals stille,

da nicht allein zur Weihnachtszeit

die holde Hausmusik erfreut.

Rolf-Peter und Hans-Christian

gewinnen stets bei Grotrian.

Und später noch als Pädagogin,

berühmte Tastenpsychologin,

da schult Frau Wille manch Talent

auf dem Piano-Instrument.


Nicht vom Klavier nur, auch vom Dichten

der Mama will ich noch berichten,

denn manchmal schreibet sie Geschichten –

und malt dazu – von kleinen Wichten:


Ein zarter Zwerg – er heißet Tippel-Tappel –

trägt seinen Witz, die winz’ge Wichtelgrütze,

versteckt in niedlicher Gedankenmütze.

Die weht vom Kopfe ihm – ei, welch’ Gezappel!


Der arme Zwerg! Verirrt rennt er durch’s Feld.

Leer ist sein Kopf, die Welt nun öd’ und trüb.

Wo ist sie nur? Wo ist sein Mützlein lieb?

Ja, für die Mütze gäb’ er all sein Geld.


Wo ist sie?”, fragt der Zwerg die Vogelschar.

Er fragt den stummen Fliegenpilz sogar.

Im Wald die Tiere helfen Tippel-Tappel.


Hei, – war das ein Getrippel, ein Getrappel!

Fand er die Mütze? Blieb sein Köpfchen leer?

Vergessen habe ich’s – zu lang ist’s her…





Genug vom Tippel-Tappel Zwerge.

Man fährt zum Urlaub in die Berge.

Ob Zedlach oder Buntenbock:

Wir sammeln Nägel für den Stock.

Am Meere dann, bei Heil’genhafen

da dürfen wir in Zelten schlafen.


Gesellschaftsspiele, Heiterkeit –

zu kurz ist diese schöne Zeit!


Die Söhne sollen sich verlieren,

da sie zunächst einmal studieren

dann in die Ferne gehn und feiern,

nach Taiwan, ja sogar nach Bayern.


Nun darf Frau Wille sich gestatten,

allein zu reisen mit dem Gatten.

In Taiwan und Tunesien

ist sie bereits gewesien.

Nach Bozen und zum Engadin,

da fährt sie jeden Sommer hin.

Am Ende flieget sie soga’

nach Afri- und Amerika.


Doch auch zu Hause bleibt sie helle,

studiert so manche Kunstnovelle.

Mit Goethe, Schiller, Rilke, Dante

da wird man keine alte Tante;

und trifft man sich beim Lesekreis,

so ist man lange noch kein Greis.


Frau Wille will sich nicht begrenzen.

Denn heut’, mit 85 Lenzen,

spielt sie Klavier gleich zu vier Händen,

drum will ich mein Gedicht beenden.


Geburtstagswünsche und bis später

und nur das Liebste von Rolf-Peter!









Annemarie Wille

geb. 8.12.1927 Goslar


[kurze biographische Skizze von Herbert Wille, 2012]

Weimar eingeschult u. gewohnt; neben Schule in Goslar: Klavier-Unterricht; danach Studium Gesang, Staatsmusikschule BS, 2 Jahre; dann Studium Klavier, Meisterklasse Prof. Hansen, Detmold, 3 Jahre

großer Wunsch: glückliche Familie! 31.5.1952 Heirat, 2 Söhne (1954 u. 1958 geb.); Haushalt, Klavier-Unterricht beider Söhne jeweils ab 4 Jahre

Farbiges Notensystem entwickelt; mit den Kindern: Kasperle-Theater [gespielt]; Märchen “Tippel-Tappel” erfunden und aufgeschrieben

Viele gemeinsame Ferien: Heiligenhafen, Pixhaier Mühle, Harzwanderungen Pilze, Schwimmen in den Teichen (auch bei Schnee und Eis)

Grotrian Wettbewerbe, Bundeswettbewerb[e]

Klavierunterricht mit Schülern (30 Jahre) [Wolfgang Zill, Ilka Schibilak, Steffi Danschacher und viele andere]; viele Schülerkonzerte

Paris: [mit Söhnen] bei Perlemuter; Englandreise: Dartington; mit Hans-Christian in Terni und Bozen (Busoni Wettbewerb)

Viele Reisen mit mir [Herbert]: Taiwan, Bahamas, Thailand, Israel, Ägypten, USA, Florida, Mexiko, Senegal, Kenia, Städtereisen und rund ums Mittelmeer, Rotes Meer; Wander-Urlaube: Thüringer Wald, Ritten, Ober-Engadin

Großes Interesse: Literatur und Malerei; [Lesekreis mit Freundinnen; Vorträge über Dante an TU gehört]

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Anmerkung von Annemarie Wille: “Meine Zeit war noch geprägt von den Zeiten, wo Frauen noch nicht so im Beruf tätig waren – und [von der] Kriegs- und Nachkriegszeit.





Annemarie Wille (rechts) im Kreis ihrer Familie (Lyna, Elisabeth, Rolf-Peter, Herbert, Hans-Christian), Pixhaier Mühle 





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